skip to content
bregengemme

FRITZENS PARADOXON
 


Es ist Sommer. Die Uhr zeigt die vollendete achtzehnte Stunde an. Draußen brütet die Hitze vielleicht eine zukünftige Kältefront aus. Ich sitze im Kühlen, allein und nachdenklich, ohne jedoch ein spezielles Problem zu durchdenken, trinke aus einem Halbliterglas Bier, bin unrasiert und ungekämmt, aber gewaschen und geschneuzt. Ich erwarte nicht gerade nichts, allerdings niemand.
Eine transparente Figur, bläulich wie ausgestoßener Zigarettenqualm und ebenso erdgelöst, kommt in den Raum meiner Sitzung und erkundigt sich unvermittelt nach ihrem Freund, wie sie sagt, Fritz, der hier früher gewohnt haben soll. Ich bedauere und beteuere höflich, daß ich keinen Fritz kenne und niemals einen Menschen dieses Namens gekannt habe. Mein merkwürdiger Überraschungsgast sieht mich ungläubig und entäuscht an.
Da er mir leid tut, bitte ich ihn, sich zu setzen und noch etwas zu verweilen und mir von sich zu erzählen. Er aber lehnt hastig ab und meint, er müsse unbedingt mit Fritz sprechen, weil dieser ihm gegenüber einen Satz äußerte, der ihm zum Rätsel und Verhängnis geworden sei. Ich fordere meinen geheimnisvollen Besucher auf, etwas deutlicher zu werden. Er jedoch antwortet nicht und läßt, regunglos verharrend, ein langes Schweigen folgen.
Irgendwann, nach etlichen vergeblichen Zusprüchen, schlage ich ihm vor, er solle sich vorstellen, daß ich jener ominöse Fritz sei; vielleicht könne er so seiner offensichtlich mißlichen Situation entkommen oder sie zumindest erträglicher gestalten. Tatsächlich verlangt es mich zunehmend, sein Geheimnis zu enträtseln.
Er erhebt, fast wider Erwarten, seine nun brüchige Stimme: "Ich bin tot, ich kann mir nicht vorstellen, was nicht meinem Realitätskontext entspricht. Du bist nicht Fritz, daran gibt es nichts zu rütteln!"
Ich schaue ihn an, fassungslos: Er verkörpert vielleicht meine eben Gegenwart gewordene Zukunft! Viele Fragen, die ich nicht zu artikulieren vermag, ob deren Weite und möglichen Bedeutsamkeit, entstehen und vergehen in Nu.
Er, durchsichtig wie Glas und ebenso zerbrechlich, obwohl er vorhin noch den Eindruck erweckte, man könne mit ihm Sport, wenngleich nur ätherischen, betreiben, scheint nahe daran, sich wieder in seinen ursprünglichen Realitätskontext zurückziehen zu wollen, weil er von mir eindeutig nichts für ihn Wichtiges erfahren kann.
Da drängt es plötzlich, meine wirren Betrachtungen und Überlegungen unterbrechend, aus ihm:
"Der Mensch hat ein Wesen, das nicht ist; deshalb west dieser in Gespinsten und wird zu einem Gespenst seines Seins. Dies ist das mir zum Rätsel und Verhängnis gewordene Paradoxon und Vermächtnis Fritz´."
Ich staune und weiß nichts zu erwidern. Ich starre ihn handlungsunfähig an. Wie ist zu begreifen, was ihm widerfuhr? Ich versuche, mein Verstummen abzulegen, um ihm erklärende Worte abzuringen, Antworten auf diese Groteske.
Unvermittelt, ohne eine Abschiedsformel vorzubringen, kehrt mein Gast vielleicht wieder dorthin zurück, woher er kam, und läßt mich verwirrt und unverständig im Kühlen sitzen.
Nun ist die Zeit gekommen, mich zu kämmen und zu rasieren, weil der Sommer ja nicht ewig währt. Die Uhr zeigt an, daß die siebzehnte Stunde in zehn Minuten vollendet sein wird.
Draußen fällt Schnee.